Überraschungen nach der Wahl
Veröffentlicht am: Oktober 15, 2017
Ein fröhliches Aloha liebe Leser,
es ist ein paar Tage vor der Bundestagswahl und ich lieg mal wieder krank im Bett. Diesmal habe ich Besuch von fiesen Bakterien, die sich Campylobacter nennen. Durch mein immer noch am Boden liegendes Immunsystem ist im Enddarm sozusagen Polen offen und alles Durcheinander. (Im Übrigen eine Redewendung, die auf die Teilung Polens 1772 zurückgeht). Nun bin ich sogar meldepflichtig erkrankt und das Gesundheitsamt hat schon angekündigt, dass es Fragen an mich hat. Da bin ich aber echt mal gespannt, was die denn so Fragen fragen. Dieses Bakterium, ist dem Salmonellenerreger nicht unähnlich und rafft mich förmlich dahin. Auch bin ich mal wieder in Quarantäne, weil meine Leukozyten unter 1,9 gefallen sind. Kurz, ich leide wie ein Hund. Meine Welt ist plötzlich wieder so handlich klein, dass sie sogar auf einer Eisenpimmel-LP Platz hätte.
Also bleib ich bis auf die paar Gassirunden mit meiner Kampfbulldogge zu Hause vor der Glotze. Mit dem Fernseher kann man schließlich auch weit gucken. So mache ich den lieben langen Tag nichts anderes als kacken, Tee saufen, pennen, Fernsehen kucken und wieder kacken. Wenn das so weiter geht, verblöde ich tatsächlich noch mehr, als man das mit zunehmenden Alter ohnehin schon macht. In meinem Hirn herrscht gähnende Leere. Vor lauter Berieselung kann ich schon nicht mehr geradeaus denken.
Die letzten Monate versuchte ich gar nicht mehr, mich mit irgendwelchen Dingen auseinanderzusetzen. Schon gar nicht mit dem Wahlkampf. Ich bin quasi von der Winterdepression in die Frühjahrsmüdigkeit und von dort nahtlos in das Sommerloch gerutscht.
Bei den letzten Wahlkämpfen wurden die Sommerlöcher noch mit Fluten und „Politiker, die auf Wasser zeigen“ gefüllt. Sie, liebe Leser, werden sich daran erinnern, als der Schröder mit seinem Auftritt als Deichgraf Kanzler wurde. Selbst beim letzten Wahljahr 2013 machte das begehrte Gummistiefelbild die Merkel. Leider wurde heuer noch nicht mal der Friesennerz ausgepackt. Hochwasser und Wahlkampf gehören für mich zusammen. Und da ich ein Mensch bin, der sich sehr schnell an Parallelen gewöhnt, hatte für mich der Wahlkampf eben nicht begonnen, da es kein Hochwasser gab. Aber um ehrlich zu sein, muss ich gestehen, dass ich mich von den Medien und auch von meinem Bekanntenkreis habe anstecken lassen und den Wahlkampf als wahnsinnig LAAAANGWEILIG abgetan habe.
Ich hab mich einlullen lassen von Arbeit, Unterhaltung und was man sonst noch so den ganzen Tag macht. Der normale Alltag eben. Da war es mir natürlich recht, dass an der politischen Front nicht so wahnsinnig spannende Themen hochkochten. Zum ersten Mal seit 20 Jahren war ich kurz davor, entweder nur Quatsch zu wählen oder gar nicht mehr hinzugehen.
Nicht mehr wählen gehen? Wär das was? Was wäre dann?
Wenn das mit der Wahlbeteiligung so weiter geht, wäre ich dann mit den über 30 % Nichtwähler in zahlreicher Gesellschaft. Wir wären dann irgendwann die Mehrheit und diejenigen, die noch wählen würden, wären weit über 60 Jahre alt. Die wiederum wissen ja auch von alleine, was gut ist für alle Beteiligten und vor allem für uns Nichtwähler, die von Marx und dem Zusammenbruch des Kapitalismus träumen. Apropos Nichtwählen: Bei der langweiligsten Wahl der Geschichte der BRD, also 2009, war der Nichtwähleranteil bei der Altersgruppe der unter 30jährigen beinahe 39 %. Wohlgemerkt war dies schon eine 8 %-Steigerung von dem „Schröder-ist-voll-mit-Testosteron“-Wahlkampf 2005. Krass, oder?
Da der Wahlkampf in diesem Jahr, wie ich nun schon mehrfach erwähnt habe, so unglaublich öde angelaufen ist, dass er den Langeweile-Faktor in ungeahnte Höhen getrieben hat, kann man wahrlich nicht groß auf Wahlbeteiligung hoffen.
So hab ich gedacht und mich intellektuell schon aus der Bundestagswahl verabschiedet. Erst in der Zeit meiner Bettlägerigkeit kam ich langsam zur Besinnung. Bei dieser Bundestagswahl ging es tatsächlich um enorm viel. Die AFD steht laut Umfragen kurz davor, mit einem zweistelligen Ergebnis in den Bundestag einzuziehen. Und plötzlich fühle ich mich wie Janet Leigh unter der Dusche in „Psycho“.
Oder wie es Katrin Göring-Eckardt nannte: „Wir werden Nazis im Parlament haben.“ Als Schulbub konnte ich nicht verstehen, dass eine so menschenverachtende Partei wie die NSDAP überhaupt an die Macht kam und heute bin ich gelangweilt, entwickle ein Phlegma, wenn es um diese Demokratie, in der ich lebe, geht. Ich lulle mich mit Serien, Musik, Fanzines, Comics, Kochbüchern und Hundetraining ein. Aber die meiste Zeit vertrödele ich in den unendlichen Weiten des Internets mit quasi nichts. Mein Brustkorb bläst sich nur noch in dem Moment vor Stolz auf wie ein Darm nach einem Bohnenwettessen, wenn ich ein Video finde, dass noch niemand geteilt hat.
Die AFD wird am Wahlsonntag der große Gewinner sein. Dessen bin ich mir ganz sicher. Wir werden uns die nächsten vier Jahre jeden Tag die Nazirhetorik der stärksten Oppositionspartei anhören müssen. Vielleicht kommt es aber auch schlimmer, wie beim Brexit oder bei Trump…
Und jeder sollte sich fragen, was er oder sie gemacht hat/haben, um dies zu verhindern. Da hilft es auch nicht, wenn man wie ich, vor zwei Jahren in die SPD eingetreten ist und dann vor lauter OchNö bisher nix für den Verein getan hat. Ich kenn übrigens kaum einen, der aktiv in irgend einer Partei ist. Und wenn ich meinen Freundeskreis als Durchschnitt nehme, dann ist es ja kein Wunder, dass man den Eindruck hat, Politik wäre fremdbestimmt.
Es wird Zeit, Rassismus, Antisemitismus, Geschichtsrevanchismus, Faschismus, etc. nicht mehr zuzulassen. Ich lass den „DasWirdManJaWohlSagenDürfen“-Deppen nichts mehr durchgehen. Weder am Stammtisch, noch beim Elternabend, noch auf der Hundewiese und schon gar nicht auf Facebook. So!
Ich geh jetzt mal los und kaufe Zutaten für eine Sahnetorte, damit ich am letzten Samstag vor der Wahl in der Fußgängerzone den Spitzenkandidaten der AFD auch gebührend entgegentreten kann.