Über das Schamgefühl in meiner Kolumne für den November

Veröffentlicht am: November 17, 2016

Ein fröhliches Aloha liebe Leser,

Sie kennen mich jetzt ja schon eine ganze Weile. Sie haben mich mehrmals nackt gesehen, haben mein Leben vom Bodensee, nach Leipzig und zurück nach Freiburg verfolgt. An dieser Stelle habe ich viel Quatsch und Tollerei erzählt, wütende Pamphlete geschrieben aber auch hin und wieder meine Seele ausgeschüttet. Neulich wurde ich von einer mir nicht unbekannten Person auf meine Kolumne angesprochen. Diese fand meinen quasi öffentlichen Umgang mit meiner Erkrankung, vorsichtig formuliert, nicht so richtig gut.

Dies brachte mich zum Nachdenken über, das was ich so geschrieben habe. Und ja, seit das Krustentier bei mir an die Türe geklopft hat, wurden meine Texte mehr und mehr „Ich“-bezogener und vor allem persönlicher.

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Ich selbst finde es auch erstaunlich, wie sich diese kleine Kolumne verändert hat, seit ich im August 2011 damit angefangen habe. Meine Grundmotivation war, meine Illustrationen zu veröffentlichen und etwas Fülltext beizusteuern. Dann viel mir hin und wieder etwas Lustiges ein, was ich zu den Illustrationen schreiben wollte. IN erster Linie hatte ich sehr viel Spaß daran, meinen Quatsch gedruckt zu sehen. Dies änderte sich, als ich Lust daran empfand, meine Verwunderung über die Welt und vor allem auch über politische Themen zu schreiben. Ab und zu verirrte ich mich auch in den Tiefen der Lokalpolitik von Freiburg, aber in der Regel hatte ich ein fest etabliertes Feindbild: alle Arten von Menschenverachtung, alle Rechten und natürlich die FDP.

Da ich vermute, dass die meisten Leser all die zumeist abwegigen (aber hin und wieder auch sehr klugen Gedanken) nicht gelesen haben, ist es mir ein Anliegen, darauf hinzuweisen, dass ich mich nach wie vor als politischen Menschen begreife und ich nicht einverstanden bin, dass die ganzen AFD-Pisser, die „Man wird ja mal noch was sagen können“-Idioten und die „Ich hab ja nicht gegen Flüchtlinge, aber“-Trottel so viel Raum einnehmen dürfen. Keinen Fußbreit dem Faschismus und Rassismus!

Die Krebserkrankung öffentlich zu machen, hatte und hat für mich mehre Gründe. Einer war, dass ich einen recht großen Freundeskreis habe und ich tendenziell sehr, sehr faul bin. Mit der Kolumnenlösung habe ich es geschafft, das Informationsinteresse meines Freundeskreises zu befriedigen und nicht jedem die gleiche Geschichte erzählen zu müssen. Auch müssen sich so meine Freunde und Bekannten nicht ständig melden, um nach meinem Wohlbefinden zu fragen. Ein anderer Grund ist, dass ich all das, was mit mir passiert ist, irgendwie verarbeiten musste. Dies ist manchmal gar nicht so einfach. Auch weil die Behandlungen jede Grenze, die ich im körperlichen Bereich hatte,  überrannt hatten. Wo man sich da alles anfassen lassen muss. TsTs.

Zum Glück bin ich mit einem sehr geringen Schamgefühl ausgestattet und kann so über alles schreiben, was mir so passiert ist. Spontan fällt mir nicht allzu viel ein, das bei mir mit einem Tabu belegt ist und über das ich bei einer gezielten Frage nicht antworten würde. Scham ist ja an sich ein beschissenes Gefühl, vielleicht eines der schlimmsten. Bei mir sind aber Schuldgefühle im Gefühle-Ranking viel weiter oben.

Ich reagiere nach unangenehmen Ereignissen meist mit Schuldgefühlen, oder spiele die Bedeutung der Situation herunter. Die amerikanische Psychologin June Tangney hat übrigens herausgefunden, „dass Schuldgefühle konstruktiv wirken. Die Menschen mit Schuldneigung gehen verantwortungsvoll mit sich selbst und ihren Mitmenschen um. Die Menschen mit zu Schamgefühlen neigen, neigen auch zum sozialem Rückzug und einem ausgeprägteren Risikoverhalten. Auch ist bei den Schamhaften die Wahrscheinlichkeit höher, drogenabhängig oder kriminell zu werden.“ Bei Scham handelt es sich offenbar um ein besonders zerstörerisches Gefühl.

Bei Schuldgefühlen spricht die Psychologin von einer Diskrepanz zwischen „Ich“ und „Über-Ich“. Also ein klassischer Gewissenskonflikt. Bei der Scham driften „Ich“ und die „Ich-Vorstellung“ auseinander. Quasi eine Kluft zwischen der Person und ihren Ansprüchen an sich selbst. Schuld und Scham liegen nicht weit auseinander. Aber Schuld bezieht sich auf eine Handlung, wohingegen die Scham sich auf die eigene Person richtet. Wow! Ich bin immer wieder begeistert, wie schnell ich eine Studie finden kann, die meine gefühlte Argumentationskette quasiwissenschaftlich untermauert. Früher viel mir das allerdings noch leichter. Es war auch noch vielfältiger, denn da konnte ich mir noch Wikipedia schönschreiben. Leider haben die Administratoren mich mit all meinen E-Mail-Adressen dort für immer gesperrt. Was ich im Übrigen eine Frechheit finde, nur weil ich wiederholt, für ein paar Stunden, ein paar unbedeutende Artikel verädert hatte, damit ich die ein oder andere Wette gewinnen würde. Aber das ist eine andere Geschichte.

Wieder zurück zum Schamgefühl bzw. zum Schuldgefühl.

Ich glaube, dass ich ein vier Sternekoch der Schuldgefühle bin, und darum lasse ich meinem Schamgefühl keinen Raum. Hierzu habe ich auch eine simple Erklärung. Ich bin in einem kleinen Dorf irgendwo in der Walachei aufgewachsen. Man konnte entweder saufender Neonazi, Christ oder, wenn es gut lief, auch kiffender linkslibertärer Spinner werden. Dort konnte sich nur Schuld entwickeln, da es für Scham bei diesem Umfeld nicht gereicht hat. Eigentlich ist es sowieso erstaunlich, dass ich trotz dieser Vorzeichen: Kleines Dorf am Rande der Welt, Hauptschule und ohne die Segnungen des Internets den vorgezeichneten Weg verlassen habe. Zum Glück hatte ich von klein auf eine ausgeprägte Allergie gegen Cliquen und deren Verhalten. Ich finde ja, dass ich mich trotzdem ganz gut entwickelt habe. Außer vielleicht, dass ich die letzten Monate, so im Vorbeigehen Deutscher Meister im „Enttäuscht werden“ geworden bin. Das gilt vor allem im Blick auf meine Ehefrau. Aber, machen Sie sicht keine Sorgen, unsere Beziehung dauert nun schon länger als der Zweite Weltkrieg und macht nach wie vor mehr Spaß.



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