Skinheads of Braunschweig in meiner Kolumne für den Mai

Veröffentlicht am: Mai 11, 2018

Ein fröhliches Aloha liebe Leser,
was von außen vielleicht nicht überraschend wirkt, ich habe die Erkältung tatsächlich wieder einmal überlebt. Für mich ist dies jedes Mal ein Wunder. Ich ertappe mich dann immer, dass ich mir einen Bart wachsen lasse, mir überlege, wo ich Sandalen herbekommen und heimlich an den Hand- und Beingelenken Nagelwunden aufmale. Gut, dass ich weiß, wo meine Frau ihre Schminksachen versteckt hat. Das Schwierige dabei ist, die durchaus realistisch gestalteten Wundmale wieder abzubekommen. Die Waschung führt immer zu einer Wahnsinns Sauerei. Beim nächsten Männerschnupfen habe ich mir fest vorgenommen, dass ich mir vorab ein paar Beauty-Tipps von den Schminktrullas auf YouTube hole. Beautyvideos sind ein Internetbereich, welchen ich nur stiefmütterlich behandle und der mehr Aufmerksamkeit verdient hat.
Nun habe ich Ihnen, liebe Leser, nun schon seit zwei Ausgaben versprochen, dass ich die drei schlimmsten Erlebnisse in Verbindung mit Alkohol zu Ende erzähle. Alle fanden in Braunschweig statt. Braunschweig ist bestimmt die schlimmste Stadt der Republik und muss sich in einem weltweiten Ranking von „Worst Cities“ nicht verstecken. Da ich dem Journalistenmotto fröne, dahin zu gehen, wo es wehtut und mich, wie Sie wissen, auch nicht schone, krame ich diese schmerzhaften Erinnerungen heldenhaft für Sie wieder hervor. Versprochen ist versprochen. Definitiv sollte ich weniger Heldensagen als Hörbuch hören. Gerade habe ich mich durch 38 Stunden „Sagen des klassischen Altertums“ gehört, mit dem Ziel, die Odyssee anzuhören.
Nur um bei Stunde 39 endlich bei Odysseus Reisegeschichte zu landen. Nach 39 Stunden Hör-buch, mit unendlich vielen Namen und belanglosen Geschichten von Göttern, Griechen, Trojanern und deren Söhnen, merke ich Trottel, dass es ein Inhaltsverzeichnis gibt, welches mir diese Qualen der vergangenen 38 Stunden hätte ersparen können. Zumindest kann ich mit voller Überzeugung sagen, dass der schreckliche Disney-Film über den Herakles erstunken und erlogen ist. Aber ich schweife ab…

Vielleicht erinnern Sie sich noch an die Erzählung über das schlimmste Geräusch meines Lebens, das ich ausgerechnet in einem Stripklub in Braunschweig hören musste. Eine Anmerkung muss ich an dieser Stelle noch machen, nicht dass Sie denken, ich wäre aus Wollust im Stripklub gewesen. Bier war schuld! Mit Bier in mir habe ich den Drang, noch mehr erleben zu wollen. Bier hat mir zwar zu den besten Erlebnissen meines Lebens verholfen, aber auch zu den Schlimmsten. Und diese fanden beinahe ausschließlich in Braunschweig statt. Für diejenigen unter Ihnen, die meine Februar Kolumne nicht gelesen oder meine verstörende Beschreibung verdrängt haben, sag ich nur so viel: Schwerkraft, Metallstangen und Orangenhaut sind, zumindest akustisch, nicht die besten Freunde. Der Schock über das Geräusch führte zu einem kopflosen Fluchtreflex, den mein Sympathikus zu verantworten hatte. Nachdem ich fluchtartig dieses Etablissement verlassen habe, wollte ich, verstört, wie ich war, unbedingt viel Bier trinken und versuchen das Erlebte zu ertränken.

So bin ich mit G. in einer Art alternativen Diskothek gelandet. Da G. mit zunehmenden Alkoholkonsum zu Tanzallüren neigt, verschwand er beinahe augenblicklich auf die Tanzfläche. Ich wiederum tanze nicht. Über Jahre habe ich mir dies aus ästhetischen Gründen abgewöhnt, dafür aber das Kopfnicken mit viel Übung so kultiviert, dass ich sogar im angedeuteten Nicken unterschiedliche Formen der musikalischen Zustimmung zeigen kann. So steuerte ich den verheißungsvollen Tresen an. Nachdem ich mir das ersehnte Bier bestellt und mich auf den Barhocker platziert hatte, spürte ich einen Arm, der sich um mich legte. Nicht sanft, sondern sehr bestimmt. Eigentlich war es schon fast ein ausgewachsener Schwitzkasten. Leider war es nicht einer der Freunde, wie ich erwartete, sondern ein recht fies aussehender schlanker Skinhead mit Tränen-Tattoos im Gesicht. Bevor ich auch nur reagieren konnte, drang von einer dritten Person, hinter mir, ein tiefer Bariton an mein Ohr: „Macht der Probleme?“ Der Schwitzkasten-Skin meinte nur lapidar so was wie: „Noch nicht!“
Ab hier war mir klar, dass ich entweder gleich eine aufs Maul bekommen werde oder aber ganz bestimmt später. Während ich noch so über meine Optionen nachdachte, setzte sich der Schwitz-kasten, ohne mich loszulassen, sehr, sehr nahe neben mich. So nahe, dass ich seinen Atem an meiner Wange spüren konnte. Der sehr dicke und sehr stark aussehende Kollege von ihm blieb mit verschränkten Armen hinter uns stehen. Ich halte mich eigentlich für einen nicht unmutigen Menschen und bin auch nicht erfahrungsarm an brenzligen Situationen, aber die beiden Affen haben mich vollkommen überrumpelt. Meine Erfahrungen mit Gewalt endeten in der Regel mit RENNEN meinerseits. Man sieht es mir nicht mehr an, aber ich konnte echt gut rennen. Ich habe, weil ich nicht gut fangen konnte, beim American Football vier Jahre eine Position gespielt, bei der ich enorm viel und schnell rückwärts rennen musste. Sie ahnen es, aus meinem kaum vorhandenen Mut wurde pure Angst. Ohne Vorbereitung fing der Schwitzkasten an mich vollzuquasseln. Vielleicht kennen Sie, liebe Leser, Situationen, in denen Sie ein Gespräch aus Höflichkeit nicht beenden wollen. Nun nehmen Sie das als Grundlage und multiplizieren Sie dies mit dem Faktor 9 plus Todesangst. Definitiv suchte der Schwitzkasten kein Gespräch im eigentlichen Sinne, er wollte sein verkorkstes und mit Gewalt überladenes Leben jemanden erzählen. Klar stellte er Fragen, die ich mit Ja oder Nein beantworten konnte. Und genau hier musste ich höllisch aufpassen. Ein falsches Ja oder Nein und es wäre mit mir aus gewesen. Gefühlt dauerte dieses „Gespräch“ zwei Stunden und ich bekam tiefe Einblicke in ein Leben, das ich nicht kannte und auch nicht kennenlernen wollte. Todesangst war mein Begleiter und Motivator.
Es lief für mich ganz gut und ich hatte das richtige Ja und das richtige Nein bisher immer korrekt platziert. Ein paar Mal nicht und der Druck der Armbeuge im Würgegriff wurde stärker. Aber so langsam hatte ich den Bogen raus. Meine Lehre fürs Leben ist: Männer, die einmal angefangen haben von ihrem Leben zu erzählen, hören nicht so schnell damit auf. Auch werden sie milder und unaufmerksamer. Ich witterte Morgenluft. Leider fing er genau dann an, mir die widerlichsten, ekel-haftesten Geschichten über seine Ex, seinen Sohn und seine Reaktionen auf die Trennung zu er-zählen, dass der Funke Hoffnung sofort gelöscht wurde. Mir wurde ganz übel und schlagartig klar, dass ich nun „Zuviel“ wusste und nicht mehr unbeschadet aus der Nummer herauskommen würde.

Zum Glück kam G. , von seinen Tanzeinlagen ermattet, nun an den Tresen und sagte irgendetwas Lustiges, das den Schwitzkasten und seinen Gorilla irritierte. Den Moment der Irritation nutze ich, um mich vom Würgegriff rauszuwinden. Und wieder war ich auf der Flucht. Nicht vor dem schlimmsten Gespräch meines Lebens, sondern vor den Folgen desselben. Leider habe ich wieder nicht den Platz, um das dritte schlimme Erlebnis in Braunschweig zu erzählen, und vertröste Sie auf die nächste Ausgabe. Dort erfahren Sie dann, wie ich, aus Versehen, in die krasseste Schlägerei meines Lebens geraten bin.
Bis dahin einen schönen revolutionären ersten Mai.



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