Kolumne Online auf Port01: Freiburg
Veröffentlicht am: Februar 1, 2011
Meine Kolumne ist lesbar im Port01: Freiburg Magazin und liegt überall in Freiburg aus, kann aber auch hier und hier online gelesen werden.
Kolumne:


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Und hier noch mal zum lesen für alle die nicht in Freiburg leben und mit Flash & Co. Probleme haben.
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Frühlingsgefühle? -Tu was dagegen!
Einer geschmeidigen Depression freien Lauf zu lassen, gehört wie ich finde, unweigerlich zu dieser Zeit dazu. Da niemand, wirklich niemand auch nur ansatzweise einer liebevoll gepflegten Depression den Stellenwert einräumen will, den sie verdient. Sie ist kein Menetekel, wie so oft behauptet wird, sondern sollte als Chance begriffen werden. Und glaubt mir, ich weiß wovon ich da schreibe. Aber die gängige Meinung in Großdeutschland ist nun mal so besetzt, dass wenn sich Sonnenschein auch nur ankündigt, jeder Vollhonk sich einbildet er hätte eine Ausbildung im Circus Roncallli genossen. Was so gar nicht zu ertragen ist und einen förmlich zum Handeln zwingt. Es gilt als Gegenbewegung ein Zeichen zu setzen. So gewinnt bei der Wahl zwischen Depression und Suizid in der Regel die Depression.
Und genau darum finden Sie an dieser Stelle eine kleine Anleitung zur Aufzucht und Hege einer Depression.
Zu meiner Rechten steht mein treuer Begleiter Glenmorangie (seinesgleichen mehrfach ausgezeichneter Single Highland Malt Whisky); zu meiner Linken mehr Fluppen als die vietnamesische Zigarettenmafia in Berlin besitzt.
Zur Einstimmung und zur Dämpfung des Gemütes trällert Bonnie ‚Prince‘ Billy mit »I see a darkness« seine Weisen im Hintergrund.Zur Ergänzung lässt sich nebenher auch noch das Televisionsgerät nutzen. Es versteht sich natürlich von selbst, nur geeignete Sender einzuschalten. Also nur solche, die von der Sendestruktur schon darauf ausgelegt sind, jegliche Intelligenz zu beleidigen.
Weiterhin hilfreich, ach was sage ich, zwingend ist es das Tageslicht zu verbannen. Denn nur wirklich geübte Depressive schaffen es auch dann, wenn die Sonne scheint.
Ziel ist es ja, das zu erreichen, was wahre Depressionskünstler auszeichnet:
»in einem Meer des Lächelns zu weinen«?
Ich schweife ab, dies ist ein Anfängerkurs, die evtl. vorhandene Begabung stellt sich erst nach dem Gesellenstück heraus.
Nicht minder wichtig ist das Ausschalten der Kommunikationsgeräte und der darauf folgende Abbruch mit dem Kontakt in die (zur) Außenwelt.
Gerade am Anfang, wenn man sich noch ein bisschen schwer tut, den Weltschmerz auf seine schmalen Schultern zu stemmen, sollten Telefone und Computer auf alle Fälle abgeschaltet sein.Denn seien wir mal ehrlich, wie viele wirklich gute, im Wachsen inbegriffene Depressionen, sind durch einen Anruf von Hippie-Heide im Keim erstickt worden.
Wut und Zorn sind zwar hilfreich, aber zu viel davon ist eher kontraproduktiv.
Wie wichtig diese Vorbereitungen sind, lässt sich gar nicht ermessen.
Die Depression:
Nun kommen wir zur Königsdisziplin. Leider ist das Erreichen einer wirklich guten Depression nicht gerade ein Zuckerschlecken.
Das wichtigste ist ausreichendes und ausdauerndes Training.
Vielleicht hilft es
Denn soziologisch und auch psychologisch betrachtet, ist dies ein emotionaler Ausnahmezustand. Man wird zurückgeworfen in eine Phase der persönlichen Entwicklung, die man lange glaubte überwunden zu haben und dass die Zeit diese Wunden geheilt hätte

• Schockierende Enthüllungen der für die/den Ehemalige/n nicht einsichtigen Lebenssituationen (z.B. Unterarme am Tag vorher mit Nadelstichen verzieren)
• Völlig unerwartete Schrei- und Brüllanfälle (z.B. auf Fragen wie: »Schmeckt das Essen« mit einer hysterischen Reaktion und großer Geste darauf hinweisen, dass dieses vergiftet ist.)
• Übermäßiger Alkoholkonsum
Damit müsste die Stimmung und die eigene Befindlichkeit auf einen Tiefpunkt gesunken sein und dem nachfolgenden Training eigentlich nichts mehr im Wege stehen. Das Ganze funktioniert im Übrigen auch mit Eltern, Jugendfreunden etc. Lasst eurer Phantasie freien Lauf.
Manchem hilft auch ein Besuch im örtlichen Jugendclub oder einer Großraum-Diskothek. Dabei ist peinlich darauf zu achten, sich nur hübsche und junge Körper anzusehen, die extrem viel Freude an ihrer Jugend haben. Wichtig ist, dass man neben den sabbernden, gimbrigen Säcken stehen muss, die seit Jahren in der Hoffnung da stehen, dass sie jemand aus Mitleid mitnimmt. Landläufig nennt man dies die
Der schwierigste Part besteht allerdings darin, die Welt als Jammertal zu sehen, und in nichts einen Sinn zu sehen, ohne in Selbstmitleid zu versinken. Selbstmitleid ist was für Flachpfeifen und Jammerlappen, eine Depression ist en vogue und die Erhebung in den Adelsstand.
Fragen eher philosophischer Natur wie: »Warum müssen die armen afrikanischen Kinder alle sterben, was ist das nur für ein Gott?«, oder »Warum gibt es Krieg?«, wirken Wunder… Oder »Was für einen Sinn hat das Leben für die im Universum unbedeutende Ameise Mensch?«. Sehr gut und der Schlüssel zum Erfolg ist das »Große Ganze« in Frage zu stellen. Also die Grundsicherheiten (Liebe, Vertrauen, Sinn) und die gesellschaftlichen Strukturen (Kapitalismus, Glaube, Kultur). Ist dies nicht alles wunderbar bröckelig und in den Grundfesten erstaunlich wackelig?
Das Beste daran ist, dass da niemand was dran ändern kann.Wenn es nicht auf Anhieb klappt, nicht verzagen. Die Zeit ist auf eurer Seite. Je älter man wird, desto leichter wird’s.
Wenn das Anfangsstadium der Depression überwunden ist und man länger im eigenen Saft geschmort hat, muss man der Außenwelt genau damit den Spaß am Leben nehmen. Offenbart euer Innerstes und zieht eure Mitmenschen mit in den Sog der Dämonen und Hoffnungslosigkeit. Als erstes ist Hippie-Heide und Konsorten dran, wenn diese es, wie üblich karmisch nicht selbst »spüren«, wie dreckig es einem geht.
Ich wünsche euch und euren Mitmenschen viel Freude an der gepflegten Depression.
So, jetzt begrabe ich noch mein Hirn an der Biegung des Flusses und befolge meinen Rat.
»ES GIBT KEIN RICHTIGES LEBEN IM FALSCHEN«
(Th. W. Adorno, Minima Moralia)