Inland Empire oder „Im eigenen Herzen gefangen“

Veröffentlicht am: Mai 5, 2007

Als ich hier vor Jahren in Freiburg ankam, lernte ich die Serie „Twin Peaks“ von David Lynch kennen. Es war großartig. Bis dahin hatte ich noch keine Serie öfter geschaut und wurde süchtig nach den Geschichten, Bildern, der Musik und dem Unheimlichen. So angefixt schaute ich mich durch David Lynchs Welt.

„Eraserhead“ machte mir mehr Angst als ich bisher je verspürt hatte. Außer vielleicht die Angst vor Weihnachten mit dem Christkind und seinem bitterbösen Helfer, dem Pelzmärtel (der bei uns am 24. Abends NACH dem Christkind und dem Weihnachtsmann auf den Hof meiner Oma kam). Dieser war in Fell gekleidet und hat nicht vollkommen brave Kinder in den Sack und dann in den Wald geschleppt (Ich war Live!! und in Farbe!! dabei!!!!). Aber das ist eine andere Geschichte und ein anderes Trauma. Das diffuse Gefühl des Unheimlichen, welches ich schon bei „Twin Peaks“ erfahren konnte, fesselte mich an Lynchs Welt. Auch bei Elephant Man. Weiter ging die Reise in Lynchs Kosmos mit „Blue Velvet“. Die Fassade des Normalen, Sauberen und Guten wird einmal mehr niedergerissen und gezeigt wird, wie er eigentlich ist, der Mensch. Mit „Blue Velvet“ hatte mich Lynch für immer an seiner Seite. Ich wollte mehr von diesen Dingen sehen, und dann doch wieder nicht….ich hatte Angst, dass mir das, was ich sah, gefiel…und irgendwie tat es das auch, auch wenn ich zugleich angewidert war. Die Art, wie das Unterbewusste, das Geheime, die unterdrückten Phantasien, die Gewalt auf die Leinwand kommen, rief in mir zweierlei hervor: Abscheu und Anziehung. Und damit auch die Angst vor meinen eigenen Ungeheuern.

Mit „Dune“ konnte ich nichts anfangen und betrat erst wieder bei „Wild at Heart“ diese Welt. Und wieder war ich völlig eingesunken in diese fremd-vertrauten, aus Feuer, der Farbe Rot, den entstellten Gestalten, den amerikanischen Mythen (in diesem Falle Wizard of Oz) bestehenden und einen bis in die Träume verfolgenden Bilder. Dann kam ich zu „Lost Highway“ und ich fing an, nichts mehr zu begreifen. Einen Film zu sehen und nur ein Gefühl mitzunehmen war etwas komplett Neues für mich. Bisher hatte ich immer den Eindruck, wenigstens irgendetwas aus Lynchs Filmwelt verstanden zu haben, hier gelang es mir nicht. Nach mehreren Versuchen mit „Lost Highway“ gab ich auf, verstehen zu wollen. Etwas vollkommen anderes machte „Straight Story“ mit mir. Dieser Film fällt in jeder Kategorie aus dem bisherigen von Lynch-Filmen raus. Aber ich musste weinen. Was mir bei Filmen fast nie passiert…was aber wohl an meiner gestörten Beziehung zu meinem Bruder lag…und sowieso. Bei „Mullholland Drive“ schusterte Lynch meiner Meinung nach nur die schon gedrehten Teile des Pilotfilms der nicht entstandenen Serie zusammen, was man auch merkt. Jedoch fand er seine Bildersprache wieder. Wirr und voll geladen mit den Bildern stand ich verloren vor dem Kino.

Dies alles bisher war nichts im Vergleich mit dem, was „Inland Empire“ ist und mit einem macht.

Man hat den Eindruck, dass man mehr als drei Stunden in einem Albtraum von jemanden ist, den man zu kennen glaubte. Aber nicht verstehen, nicht begreifen kann, wie warum und vor allem wann?

Es ist eine Sache Alb zu träumen, eine andere in einem fremden Kopf dem Albtraum zuzuschauen. Die Erkenntnis, dass der Kinosaal irgendwie die Iris eines anderen ist, hatte ich schon früher, aber im Gehirn des anderen zu sitzen und zuzusehen ist neu.

Zur Handlung kann und will ich nichts sagen, da ich noch davon träume (und zwar schweißgebadet). Nur soviel: Es tauchen Hasenmenschen auf, nach denen man sich immer mehr sehnt, da die irgendwie noch am begreifbarsten sind, auch wenn auch sie unheimlich werden.

Auffällig fand ich auch, dass man merkt, dass Lynch Maler war bevor er zum Film ging, um Musik und Bild zu verknüpfen. (Lynch über Lynch).

Insgesamt kam die ganze Bilderwelt, die ich von Lynch kannte, in Bruchstücken wieder und wieder vor. Und es gibt, so glaube ich, niemanden, der eine Tür so bedrohlich, so mit Angst besetzt drehen kann wie er. Wer sich das geben kann, sollte auf alle Fälle reingehen.



13 Antworten zu “Inland Empire oder „Im eigenen Herzen gefangen“”

  1. Gurkenfreude sagt:

    @Jule! Ich hab mich mal wieder überreden lassen. er ist aber auch soooo süß! Hach und noch ganz grün hinter den Ohren. Ein neuer Basilikum weilt bei mir… Luigi…. Luigi Basilikum… Ich bin noch ganz am Schwärmen…

  2. Gurkenfreude sagt:

    Sagt mal, ihr alle, habt ihr nix (so gar-gar-gar nix) zu Zahlenrockers schöner Lynch-Rezension zu sagen? Na?

  3. Gurkenfreude sagt:

    @Jule: Ja, der Thymian, der sprießt bei mir… Es ist wahrhaft eine Freude, ihm beim Wachsen zuzusehen… bzw. ihnen. Gestatten: Herr Zitronenthymian und Frau Orangenthymian. Hmmh, aber Hunde mag ich schon auch sehr… Hmmh, da gibt es leider nix mehr zu Betupfen sondern nur noch zu Betrauern…Südbalkon, zärtliche Zusprache (o.k. manchmal auch Beschimpfen – Hauptsache Ansprache!), tägliches Gießen und feinste frische Erde von Compo Sana (nix Billig-Erde)… Doch er (der Basilikum) wollte nicht (wie auch viele seiner Freunde und Bekannten zuvor) bei mir verweilen…Ich tendiere nun zu gehackter Tiefkühlkost von Iglu… Jaja, ich schau mal, wann ich ins Kino gehe… Wie wäre es Herr Zahlenrocker? Ein Pro und Contra-Kinotreff mit anschließender „Fight-Rezension“? Deine Frweundin kann dann gerne versuchen die „neutrale Ecke“ zu bestreiten… Na?

  4. Strahlenzocker äh. Zahlenrocker sagt:

    Thymiantyp…hihihi
    hab den Comic ja auch gekauft und das für mehr als 7 Euro…damals noch dm….also gurkenfreund anschauen und in freuburg rockt veröffentlichen…

  5. Jule sagt:

    oh weh gurkenfreude. Hm. Da bleibt nur noch nonverbale Kommunikation, Steicheltherapie, Blätter mit Watte betupfen, den Raum auspendeln…sag mal – du giesst dein Basilikum aber schon, gell? Also weil – nur italiensich reicht ja auch nicht…Sonne hilft auch. Vielleicht – wie sag ich das vorsichtig – es gibt ja auch Katzen- und Hundemeschen, vielleicht bist du einfach eher der Thymian-Typ.
    Übrigens den Film würd ich mir wirklich ansehen. Ich hab ja keine Idee, welche negativ Kritik sonst noch im Umlauf war, aber die…7 Euro(?) ist er allemal wert.

  6. Gurkenfreude sagt:

    @Jule: Ach so, zum Thema Basilikum noch ein kleiner Nachtrag: Nachdem ich mich anständig auf italienisch vorgestellt habe, ist der Blödi eingegangen… Das war wohl zu viel für den Guten…. Ich trauere erneut um einen kurzen Wegbegleiter….

  7. Gurkenfreude sagt:

    OOps, Jule hat parallel gepostet…. Jetzt bin ich um so angefixter von dem Film… Läuft der überhaupt noch?

  8. Gurkenfreude sagt:

    Ähem, so sehr bin ich in der Spiderman-Materie gar nicht drin… Das mit der Kritik an Miller mag schon stimmen, doch ist es schon schwer, wenn man das eighentlich bloß der Bilder und der Umsetzung her sehen will und nicht unbedingt ein Politikum daraus machen will. Ist natürlich schon bemerkenswert, wann der Verleih das Ganze in den Umlauf bringt. Allerdings kann das aber auch tatsächlich bloß purer Zufall sein und eben nur auf der Sin City -Manie basieren, dass der Film just zu diesem Zeitpunkt herauskommt. Ich fand übrigens Sin City ganz groß!Apropos: Nerdism ist auch immer wieder nett, brauchst Dich net zu schämen! Hmmh, Asche über das Haupt der beiden Herren, die unseren Stammtisch so ignorieren. Hmmh, und Monsieur Rocketrocker? Ist der nun außen vor? Hmmh, macht ein Stammtisch zu zweit Sinn? Ach, wir sollten es versuchen. Schließlich gibt es da inhaltlich noch das ein oder andere aufzuklären. Zudem auch über Verfügbarkeit… Ich krümm mich jetzt mal wieder ein Bissle…

  9. Jule sagt:

    Also ich misch mich mal kurz ein. Betreff 300 gebe ich deiner Propagandakritik vollkommen recht, auch den faschistoiden Vorwurf kann ich gänzlich nachvollziehen, denn es ist schon merkwürdig, dass alle Bösen klein, dunkelhaarig oder / und mißgebildet sind, während die Helden gar so stark sind, dass sie selbst mit tonnenschwer aussehenden, im Kampfgetümmel mit Sicherheit recht hinderlichen, knöchellangen roten Umhängen mit ihren Schwertern Kunststücke vollführen können. Nun kommt mein ABER. Die grafische Umsetzung fand ich schon einen Kinobesuch wert. Die Farben, die plastischen Horizonte, die offensichtliche Vermischung von Film- und Comicelementen…und jede zweite Einstellung erinnert an ein barockes Kunstwerk, eindeutige Gesten, die komplette Arrangierung des Bildes bis in den tiefsten Hintergrund hinein…z.B. bei der Endsequenz, ich verrat jetzt nicht alles da gurkenfreude den Film ja noch nicht gesehen hat – ich sag nur: da ragt kein einziger Fuß in die Mitte. Kann man sagen was man will, ist aber eine ganz neue Art der Bildhaftigkeit des Kinos. Sein wir ehrlich, die Geschichte ist mau umgesetzt, aber darauf kommt es weniger an. Und ich sage das jetzt NICHT, weil ich als Frau auf meine Kosten gekommen bin. (Ich hab übrigens recherchiert, die Bauchmuskeln sind echt.)

  10. Der Stammtisch macht keinen Sinn, wenn die Herren sich lieber bei Fudder auf einer Fotogalerie rumtreiben…und versuchen betrunken auszusehen.
    Zu 300…naja, wenn man den Comic kennt ist es glaube ich Zeitverschwendung da rein zu gehen. Außer, und das hab ich aus Jules Aussieblog entnommen, für Frauen soll es ja ganz großes Kino sein.
    Rein auf das körperliche bezogen.
    Frank Miller ist nach wie vor einer der ganz großen und nun kommt mein aber.
    Zum einen kommt 300 in einer Zeit in die Lichtspiele, in der die USA von allen Seiten Kritik erfahren und irgenwie nicht aus dem angerichteten Desaster rauskommen. Reichlich seltsam, dass dann ein Film gemacht wird, der zum einen den tapferen Krieger an sich, in all seinem mythischen heldenhaften Glanz darstellt und zum anderen geht es ja darum, dass 300 tapfere gegen 4000000000 andere Soldaten antreten.
    Vielleicht liege ich auch Falsch, aber das riecht ein bisschen wie Propaganda. Da war mir Top-Gun noch lieber.
    Ein weiterer Punkt ist auch der, das von allen Comicverfilmungen/Comicbasiertefilme nur wenige gut waren. (Bsp. Road to Perdition, Man in Black, OldBoy, V wie Vendetta und Sin City. Aber bei Sin City ist es auch wieder fraglich, wenn der Comic 1zu1 umgesetzt ist, wieso dann noch den Film schauen?
    Und zum neuen Spiderman…die packensten Geschichten von Spiderman, also die Green Gobblin-Sachen und die Black-Costume-Reihe mit der darauf aufbauenden Venom-Saga wird mit dem Sandman verknüpft. Jede für sich wäre einen Film wer, da alle das Drama und die Tragik der Existenz in sich tragen. Aber warum zum Teufel alles zusammen. Um beim gleichzeitig produziertem Videospiel mehr Figuren zu haben? Und, so wie ich es gelesen habe, ist Spiderman ruckzuck mit Venom fertig…HÄÄÄ…warum?
    Oh mann…nun wird es aber Nerdig

  11. Gurkenfreude sagt:

    Danke-danke! zum Lynch: wer will schon leichte Kost? Ne-ne, mal im Ernst! Natürlich mag ich auch ganz Triviales! Freu mich immer wieder auf Comic-Verfilmungen, muss noch 300 anschauen (auch wenn faschistoider Vorwurf- angeguckt wird es trotzdem), auf Spiderman freu ich mich auch und Ghostrider hab ich auch noch nicht gesehen…. Können wir denn den Stammtisch verschieben? Mögen die Herren Fats und G.G. sich mal äußern? Oder ist ihnen das alles zu supekt? Puh, Magen-Darm -Geschichten sind soooo fies… Ich krümm mich mal wieder vor mich hin….

  12. Ah dann wünsch ich doch gute Besserung…und zum Lynch es ist schon ein schweres Stück das man da schluckt

  13. Gurkenfreude sagt:

    Ohen den Film bisher gesehen zu haben- schöne Rezension! Freue mich schon aufs Kino. Habe seid Kurzem mal wieder auch mein Herz für Cronenberg entdeckt- verstört mich ebenso. Auch eine abstruse Verquickung von Abscheu und Faszination. Aber Lynch ist schon ein besonderer Meister seiner KLasse (habe aber Lost Highway bis heute nicht gesehen, was ich mal nachholen muss, da er mir damals so madig gemacht wurde). Aber der jeweils kurze freudige Moment im Kino, wenn das Licht angeht nach einem Lynch-Film, und man in total verstörte Gesichter schaut, ist des Eintrittes schon zumeist wert. Auch seinen Rasenmäher-Roadmovie hab ich leider noch nicht gesehen… Also, ich hab ja nun nen großen Fernseher, da können wir ja beizeiten mal nen Lynch-Tribute-Abend machen… Die zweite Staffel von Twin Peaks ist ja nun auch erhältlich… So, ich kränkel weiter vor mich hin….